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a board, Videostill, 2024

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a board. Video in 4K, mit Ton, 10:54 min, 2024
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Wie begegnest du deiner Umgebung, wenn du unterwegs bist? Wie trittst du in Kontakt mit den Menschen und den Dingen, wie entstehen Berührungen? Wie wird man Teil eines Ortes, eines Moments, woran lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen? Solche Fragen schwirren mir im Kopf herum, vor meiner Reise durch den Kosovo und Albanien.
Diese Arbeit entspringt einer Auseinandersetzung mit dem Alltag, dem Allgegenwärtigen und deren Auswirkungen. Der Frage, wie Ohnmacht entsteht und wie ihr begegnet werden könnte. Unscheinbare Abläufe werden beobachtet, die auf diese Weise mehr Aufmerksamkeit erhalten als üblich.
Ein Fundstücks fungiert auf der Reise als Dreh- und Angelpunkt, sowohl als Motiv wie auch als Gegenstand der Recherche. Vielleicht lässt sich anhand dieses Gegenstands beobachten, wie sich ein Fremdkörper in die Welt einfügt, bis er irgendwann übersehen wird. Dazugehört, und selbst zu einem Wort wird.
Eine sanfte Brise zieht durch das Land und streift über die Dinge, es ist deine Neugier. Unterwegs treten Gewohnheiten anders in Erscheinung. Ständig verschieben sich sichtbare und unsichtbare Grenzen. Alltag wird zu etwas ungewohntem, an seine Stelle tritt ein ständiges abtasten und umorientieren. Reisen verlangt es, die Dinge die du nicht verstehst, dir jedoch bekannt vorkommen, einzuordnen und zu benennen. Deren fremde Worte zu lernen.
Worte kategorisieren und beschreiben Dinge, beispielsweise einen Baum. Spezifischer mögen sie eine gewöhnliche Buche bezeichnen, die andernorts europäische Buche, hierzulande auch Rotbuche genannt wird. Fagus sylvatica. Die Buche erschien bereits in der römischen Literatur, ihr lateinischer Wortstamm stammt aus dem Griechischen, wo phēgós (φηγós) einen fruchttragenden Baum, jedoch auf ein anderes Mitglied aus der Familie der Buchengewächse hinweist, die Eiche. Daraus abgeleitet bedeutet phagein (φαγεῖν) soviel wie essen bzw. die Einnahme einer Mahlzeit.
Wenn die vegetativen Bedingungen passen, behaupten und vermehren sie sich. Aus Steppen werden Wälder, etwa alte Buchenwälder, wie in den Karpaten. Rückblickend sagst du dann, Urwälder.
Die Gattung der Buche bevorzugt ein wintermildes und sommerkühles, feuchtes ozeanisches Klima – wie du, auf manchen deiner Reisen. «Die Buche kommt daher im trockenen Osteuropa mit seinen kalten Wintern nicht vor», und weiter nördlich: «in Dänemark ist sie, nach Moorfunden zu urteilen, erst in der Bronze- oder Eisenzeit eingezogen. (…) Ihre Vegetationslinie beginnt im südlichsten Teil Norwegens, reicht an der schwedischen Ostküste bis Kalmar und durchschneidet fast geradlinig den Kontinent vom Frischen Haff bei Kaliningrad, bis jenseits der Steppen in der Krim.»
Ein Ort nimmt Gestalt an, durch eine Linie, gezogen von der Buche. Doch wie präzise kann eine solche Form sein? In den nördlichen, bergigen Regionen und Alpen Albaniens koexistiert die Buche mit der Traubeneiche und Nadelbäumen wie der Schwarzkiefer, während im Mittelland und dem Kosovo mehrere Eichenarten auftreten, die typisch sind für den Balkan. Darunter die widerstandsfähige Zerr-Eiche, die in trockeneren Böden gut gedeiht, und weiter südlich von der Steineiche abgelöst wird. Quercus. In Griechenland wird die Buche, die noch am thessalischen Olymp und am Pindus häufig auftritt und auch in Atolien nachgewiesen wurde, immer seltner, je mehr man nach Süden vorschreitet.»
Wo immer sich Buchengewächse behaupten, bist auch du, und schöpfst aus ihnen: Harz und Holz als Konstruktions-material, Lauge aus deren Asche, oder Öl aus ihren Nüssen, den Bucheckern. Durch diese Verwendungen bist du mit dem Holz bestens vertraut, kennst ebenso viele Worte dafür. Aufgeschrieben hast du sie, vielleicht auf Buchenrinde. Später wirst du Cellulose, Lignin und Stärke extrahieren, und schliesslich wird aus der Buche ein Buch.
Es scheint naheliegend, dass jenes Wissen und die dafür aufgewendeten Worte gedeihen, wo auch der Baum häufig ist. Die geografische und kulturelle Verortung bestimmter Gruppen könnte in Zusammenhang mit der Distribution der Buche und ihrer sprachlichen Bezeichnung stehen. Anfangs des 20. Jahrhunderts lag für einige Sprachwissenschaftler der Schluss nahe, dass die frühzeitliche Verbreitung der Germanen, ltaliker, Kelten und Griechen sich durch ihre Bekanntschaft mit der Buche festlegen lässt. Damit könnte eine proto-indoeuropäische Heimat in der russischen oder asiatischen Steppe praktisch ausgeschlossen werden.
Diese Folgerung ist Teil des Buchenarguments, einer linguistischen These, welche den Ursprung der indo-europäischen Sprachgemeinschaft identifizieren will.
Der Buchenbegriff des gemeinsamen Slawischen, sprich die rekonstruierte Grundform der slawischen Sprachen, ist möglicherweise germanischen Ursprungs. Die am besten begründete Herkunft des Slawischen liegt zwar westlich der Bucheninie, in Galizien, Polesien und Bukowina (was soviel heisst wie “durch den Buchenwald charakterisiertes Gebiet“). Die Buche hiess auf Alt-Kirchenslawisch buky, wie buk auf Slowakisch, Tschechisch, Oberlausitzer Sorbisch, Polnisch, Weißrussisch, Ukrainisch und Russisch, bauk auf Polabisch und búka im bulgarischen Dialekt. Die obersorbische Form bukow, fortgesetzt im Mazedonischen mit *bukva, Alt-Kaikavisch als *bükva und Slowenisch als *bûkev, entspringt wahrscheinlich einer ostgermanischen Quelle des *bōkō-Stammes. Das Altnordische *bok weist auf die Buche hin, während das germanische Wort die Rosskastanie miteinbezieht. Ebenfalls mehrdeutig ist *buocha im Althochdeutschen, was neben der Eiche auch Viburnum und Birke bezeichnet. Wie bereits im Griechischen hat eine Bedeutungsänderung stattgefunden, zu vergleichen mit dem Albanischen bungë für Eiche, oder das russische Wort buzina für Holunder.
Wissenschaftlich gelten die Thesen des Buchenarguments grösstenteils als widerlegt, da sich die Buche erst ab 3000 vor unserer Zeitrechnung, in der späten Wärmezeit oder Eichenmischwald-Erlenzeit, ausbreitete. «Selbst wenn wir eine “indoeuropäische Buche“ anerkennen, zeigen Pollenbilder aus dem späten Holozän, dass eine andere Baumart den Kaukasus überspannte, und die Buchengrenze einst weiter östlich bis nach Moskau und zur Don verlief.» Entscheidend ist, dass als die Buche in Europa auftauchte, es dort schon längst keine indogene Sprachgemeinschaft mehr gab.
Die Suche nach einem Keim endet, wie so oft, in einem dynamischen und multifaktoriellen Wirrwarr. Weder in der Natur, noch einer Kultur oder Sprache lässt sich ein einzelner Ursprung ausfindig machen. Vielmehr scheinen die Dinge parallel zu entstehen, gleichzeitig und unabhängig voneinander. Dabei werden sie sich erstaunlich ähnlich, so als wüssten sie voneinander – von den Dingen, andernorts.
Da wo du bist, wird ebenso gesprochen, gegessen und getrunken, es wird geträumt, und gebaut, es entstehen Gewohnheiten, es entsteht Alltag. Ein Objekt besteht aus genauso viel vorangegangenen Erkenntnissen wie ein Wort, welches sich aus einer Vielzahl von Lauten, Begriffen und sprachlichen Einflüssen ableitet. Die Etymologie ist deine Herberge, die Sprache deine Werkstatt der Dinge.
Recherche und Begleittext zur Videoarbeit
Uraufgeführt im Kunstmuseum Luzern, während zentral!
Gedreht in Kosovo und Albanien, 2024
Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Otto Pfeifer
© Rafael Lippuner, 2024
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Quellenverzeichnis
1 übersetzt aus Liddell-Scott-Jones: Greek-English Lexicon, 9/e. Oxford: Clarendon Press (1940), 1646, 1694
2 Brandenstein, Wilhelm: Das Indogermanenproblem. Forschungen und Fortschritte 36. Scherer (Neuauflage 1968), 523-537
3 Schrader, O. & Nehring, A.: Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde, I-ll. Berlin-Leipzig: de Gruyter (1929), 170-71
4 vrgl. Markgraf, Friedrich: Pflanzen aus Albanien, in: Denkschriften der Akademie der Wissenschaften, 102, Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften (1931), 317-360, with Schrader, O. & Nehring, A. (1929), 170-71
5 übersetzt aus Mallory, James P., In Search of the Indo-Europeans. Language, Archaeology and Myth.
London: Thames & Hudson (Neuauflage 1992), 115-16
6 zsf. und übersetzt aus Blažek, Václav: The Beech Argument, in: Historical Linguistics, Bd. 115, Heft 2, John Benjamins Publishing Company (2002), 190-196
7 Meid, Wolfgang: Archäologie und Sprachwissenschaft. Kritisches zu neueren Hypothesen der Ausbreitung der Indogermanen. Innsbruck: IBS, Vorträge und kl. Schriften 43 (1989), 16
(english version)
How do you engage with your surroundings when you are on the move? How do you connect with people and objects, how do encounters take shape? How does one become part of a place, of a moment? Where do similarities and differences reveal themselves? These kind of questions linger in my mind before my journey through Kosovo and Albania.
This work emerges from an engagement with the everyday life, the omnipresent, and their effects. It explores the question of how inertia and detachment arise and how it might be confronted. Subtle processes are observed, granting them more attention than they would typically receive. A found object serves as a focal point on this journey - both as a motif and as the subject of research. Perhaps, through this object, one can observe how a foreign body integrates into the world until it is eventually overlooked – belonging, and ultimately becoming a word itself.
A gentle breeze sweeps through the land and sweeps over things – it is your curiosity. While traveling, habits appear differently. Visible and invisible boundaries are constantly shifting. The everyday becomes unfamiliar, replaced by continuous probing and reorientation. Travel demands that you classify and name the things you do not understand yet seem familiar. To understand their foreign terms.
Words categorize and describe things, such as a tree. More specifically, they may refer to an ordinary beech, known elsewhere as a European beech or red beech. Fagus sylvatica. The beech already appeared in Roman literature, its Latin root deriving from Greek, where phēgós (φηγός) referred to a fruit-bearing tree – though a different member of the beech family, the oak. Derived from this, phagein (φαγεῖν) means "to eat" or "the act of eating" respectively.
When vegetative conditions are suitable, they assert and multiply. Steppes become forests - old beech forests, for example, in the Carpathians. Looking back, you call them primeval forests. The beech genus prefers a humid oceanic climate, with mild winters and cool summers - just like you, on some of your journeys. "Thus, the beech does not occur in dry eastern parts of Europe with its cold winters", and further north: "In Denmark, judging by moorland finds, it only arrived in the Bronze or Iron Age. (…) Its vegetation line begins in the southernmost part of Norway, extends along Sweden's east coast to Kalmar, and cuts almost straight across the continent from the Vistula Lagoon near Kaliningrad to beyond the steppes of Crimea."
A place is taking shape, through a line, drawn by the beech. But how precise can such a form be? In the northern, mountainous regions and the Albanian Alps, the beech coexists with the sessile oak and conifers such as the black pine, while in the lowlands and Kosovo, several oak species typical of the Balkans appear. Among them is the resilient hungarian oak, which thrives in drier soils and is gradually replaced further south by the holm oak. Quercus. "In Greece, the beech, still common on Thessaly’s Mount Olympus and the Pindus and found even in Aetolia, becomes increasingly rare the further south one goes."
Wherever beech species assert themselves, you are there too, drawing from them: resin and wood as construction material, lye from their ashes, or oil from their nuts, the beechnuts. With the variety of uses, you are well acquainted with this wood and know just as many words for it. Perhaps you have written them down on beech bark. Later, you will extract cellulose, lignin, and starch, and eventually, the beech will become a book.
It is only plausible that knowledge and the words dedicated to it flourish where the tree is frequent. The geographical and cultural placement of certain groups might correlate with the distribution of the beech and its linguistic designation. In the early 20th century, some linguists concluded that the early spread of the Germanic, Italic, Celtic and Greek could be traced through their familiarity with the beech. This would practically rule out a Proto-Indo-European homeland in the Russian or Asian steppe.
This conclusion is part of the so-called Beech Argument, a linguistic thesis aiming to identify the origins of the Indo-European language community.
The beech term in Common Slavic - the reconstructed root form of the Slavic languages - is possibly of Germanic origin. Although the most well-supported origin of Slavic lies west of the beech line, in Galicia, Polesia, and Bukovina (which means "region characterized by beech forests"), the beech was called buky in Old Church Slavonic, similar to buk in Slovak, Czech, Upper Sorbian, Polish, Belarusian, Ukrainian, and Russian, bauk in Polabian, and búka in a Bulgarian dialect. The Upper Sorbian form bukow, continued in Macedonian as bukva, in Old Kajkavian as bükva, and in Slovenian as bûkev, likely originates from an East Germanic source of the bōkō root.
Old Norse bok refers to the beech, while the term in Germanic also includes the horse chestnut. The Old High German buocha is similarly ambiguous, referring not only to the oak but also to other tree species such as viburnum and birch. Just as in Greek, a semantic shift has occurred, comparable to the Albanian bungë for oak, or the Russian buzina for elderberry.
Scientifically, the theses of the Beech Argument have largely been refuted, as the beech only spread from 3000 BCE onwards, during the late warm period.
"Even if we acknowledge an 'Indo-European beech' , pollen records from the late Holocene show that a different tree species spanned the Caucasus, and the beech boundary once extended further east to Moscow and the Don River." Crucially, by the time the beech appeared in Europe, there was no longer a unified Indo-European language community.
The search for an origin, as so often, ends in a dynamic and multifactorial tangle. Neither in nature nor in culture, a single origin can be pinpointed. Instead, things seem to emerge in parallel, simultaneously and independently of one another. And yet, they become astonishingly similar, as if they were aware of each other, of the things elsewhere.
Wherever you are, people speak, eat, and drink, they dream and build. Habits will form, everyday life will emerge. An object consists of as many preceding insights as a word, which derives from a multitude of sounds, terms, and linguistic influences. Etymology is your shelter, language is your workshop of things.
Accompanying research text to the video work
Premiered at Kunstmuseum Luzern, during zentral!
Filmed in Kosovo and Albanien, 2024.
Kindly supported by Otto Pfeifer foundation
© Rafael Lippuner, 2024
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References
1 translated from Liddell-Scott-Jones: Greek-English Lexicon, 9/e. Oxford: Clarendon Press (1940), 1646, 1694
2 Brandenstein, Wilhelm: Das Indogermanenproblem. Forschungen und Fortschritte 36. Scherer (Reprint 1968), 523-537
3 Schrader, O. & Nehring, A.: Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde, I-ll. Berlin-Leipzig: de Gruyter (1929), 170-71
4 compared Markgraf, Friedrich: Pflanzen aus Albanien, in: Denkschriften der Akademie der Wissenschaften, 102, Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften (1931), 317-360
with Schrader, O. & Nehring, A. (1929), 170-71
5 translated from Mallory, James P., In Search of the Indo-Europeans. Language, Archaeology and Myth.
London: Thames & Hudson (Reprint 1992), 115-16
6 compiled and translated from Blažek, Václav: The Beech Argument, in: Historical Linguistics, Bd. 115, Heft 2, John Benjamins Publishing Company (2002), 190-196
7 Meid, Wolfgang: Archäologie und Sprachwissenschaft. Kritisches zu neueren Hypothesen der Ausbreitung der Indogermanen. Innsbruck: IBS, Vorträge und kl. Schriften 43 (1989), 16